Was ist ein Bundesstaat? Unter Bundesstaat verstehen wir einen Verband von souveränen Staaten, die
aus freiem Willen kraft ihrer Souveränität sich zusammenschließen und dabei jenen Teil der
Hoheitsrechte im einzelnen an die Gesamtheit abtreten, der die Existenz des gemeinsamen Bundes
ermöglicht und gewährleistet.
Diese theoretische Formulierung trifft in der Praxis bei keinem der heute auf Erden bestehenden
Bundesstaaten restlos zu. Am wenigsten bei der amerikanischen Union, in welcher beim weitaus größten
Teil der Einzelstaaten von irgendeiner ursprünglichen Souveränität überhaupt nicht geredet werden
kann, sondern viele derselben erst im Laufe der Zeit gewissermaßen hineingezeichnet wurden in die
Gesamtfläche des Bundes. Daher handelt es sich bei den Einzelstaaten der amerikanischen Union auch
in den meisten Fällen mehr um kleinere und größere, aus verwaltungstechnischen Gründen gebildete,
vielfach mit dem Lineal abgegrenzte Territorien, die vordem eigene staatliche Souveränität nicht
besessen hatten und auch gar nicht besitzen konnten. Denn nicht diese Staaten hatten die Union gebildet,
sondern die Union gestaltete erst einen großen Teil solcher sogenannter Staaten. Die dabei den einzelnen
Territorien überlassenen, oder besser zugesprochenen, höchst umfangreichen Selbstrechte entsprechen
nicht nur dem ganzen Wesen dieses Staatenbundes, sondern vor allem auch der Größe seiner
Grundfläche, seinen räumlichen Dimensionen, die ja fast dem Ausmaß eines Kontinents gleichkommen.
Man kann somit bei den Staaten der amerikanischen Union nicht von deren staatlicher Souveränität
sprechen, sondern nur von deren verfassungsmäßig festgelegten und garantierten Rechten, besser
vielleicht Befugnissen.
Auch für Deutschland ist die obige Formulierung nicht voll und ganz zutreffend, obwohl in
Deutschland ohne Zweifel zuerst die Einzelstaaten, und zwar als Staaten, be-
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standen hatten und aus ihnen das Reich gebildet wurde. Allein schon die Bildung des Reiches ist nicht
erfolgt auf Grund des freien Willens oder gleichen Zutuns der Einzelstaaten, sondern durch die
Auswirkung der Hegemonie eines Staates unter ihnen, Preußens. Schon die rein territorial große
Verschiedenheit der deutschen Staaten gestattet keinen Vergleich mit der Gestaltung zum Beispiel der
amerikanischen Union. Der Größenunterschied zwischen den einstigen kleinsten deutschen
Bundesstaaten und den größeren oder gar dem größten erweist die Nichtgleichartigkeit der Leistungen,
aber auch das Ungleichmäßige des Anteils an der Begründung des Reiches, an der Forderung des
Bundesstaates. Tatsächlich konnte man aber auch bei den meisten dieser Staaten von einer wirklichen
Souveränität nicht sprechen, außer das Wort Staatssouveränität hätte keine andere Bedeutung als die
einer amtlichen Phrase. In Wirklichkeit hatte nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart
mit zahlreichen dieser sogenannten "souveränen Staaten" aufgeräumt und damit am klarsten die
Schwäche dieser "souveränen" Gebilde bewiesen.
Es soll hier nicht festgestellt werden, wie im einzelnen diese Staaten sich geschichtlich bildeten, wohl
aber, daß sie fast in keinem Falle sich mit stammesmäßigen Grenzen decken. Sie sind rein politische
Erscheinungen und reichen mit ihren Wurzeln meist in die traurigste Zeit der Ohnmacht des Deutschen
Reiches und der sie bedingenden, wie auch umgekehrt dadurch selbst wieder bedingten Zersplitterung
unseres deutschen Vaterlandes.
Dem allem trug, wenigstens teilweise, die Verfassung des alten Reiches auch Rechnung, insofern sie im
Bundesrat den einzelnen Staaten nicht die gleiche Vertretung einräumte, sondern entsprechend der
Größe und tatsächlichen Bedeutung sowie der Leistung der Einzelstaaten bei der Bildung des Reiches
Abstufungen vornahm.
Die von den Einzelstaaten zur Ermöglichung der Reichsbildung abgetretenen Hoheitsrechte wurden nur
zum kleinsten Teil aus eigenem Willen aufgegeben, zum größten Teil waren sie praktisch entweder
ohnehin nicht vorhanden,
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oder sie waren unter dem Druck der preußischen Übermacht einfach genommen worden. Allerdings
ging Bismarck dabei nicht von dem Grundsatz aus, dem Reiche zu geben, was den einzelnen Staaten nur
irgend genommen werden konnte, sondern von den Einzelstaaten nur abzuverlangen, was das Reich
unbedingt brauchte. Ein ebenso gemäßigter wie weiser Grundsatz, der auf der einen Seite auf
Gewohnheit und Tradition die höchste Rücksicht nahm und auf der anderen dadurch von vornherein
dem neuen Reich ein großes Maß von Liebe und freudiger Mitarbeit sicherte. Es ist aber grundfalsch,
diesen Entschluß Bismarcks etwa seiner Überzeugung zuzuschreiben, daß damit das Reich für alle Zeit
genügend an Hoheitsrechten besäße. Diese Überzeugung hatte Bismarck keineswegs; im Gegenteil, er
wollte nur der Zukunft überlassen, was im Augenblick schwer durchzuführen und zu ertragen gewesen
wäre. Er hoffte auf die langsam ausgleichende Wirkung der Zeit und auf den Druck der Entwicklung an
sich, der er auf die Dauer mehr Kraft zutraute als einem Versuch, die augenblicklichen Widerstände der
einzelnen Staaten sofort zu brechen. Er hat damit die Größe seiner staatsmännischen Kunst gezeigt und
am besten bewiesen. Denn in Wirklichkeit ist die Souveränität des Reiches dauernd auf Kosten der
Souveränität der einzelnen Staaten gestiegen. Die Zeit hat erfüllt, was Bismarck sich von ihr erhoffte.
Mit dem deutschen Zusammenbruch und der Vernichtung der monarchischen Staatsform ist diese
Entwicklung zwangsläufig beschleunigt worden. Denn da die einzelnen deutschen Staaten ihr Dasein
weniger stammesmäßigen Unterlagen als rein politischen Ursachen zuzuschreiben hatten, mußte die
Bedeutung dieser Einzelstaaten in dem Augenblick in ein Nichts zusammensinken, in dem die
wesentlichste Verkörperung der politischen Entwicklung dieser Staaten, die monarchische Staatsform
und ihre Dynastien, ausgeschaltet wurden. Eine ganze Anzahl dieser "Staatsgebilde" verlor dadurch so
sehr jeglichen inneren Halt, daß sie damit von selbst auf ein weiteres Dasein Verzicht leisteten und sich
aus reinen Zweckmäßig-
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